Erinnerung und Freude
Heute feiern wir 35 Jahre Deutsche Einheit. Für viele ist das ein Tag der Freude, der Erinnerung und des Dankes. Für mich auch – denn ohne die Wiedervereinigung hätte ich mein Leben nicht so frei gestalten können, wie ich es heute tue. Zugleich bleibt dieser Tag ein Anlass zur Mahnung: Einheit darf nicht heißen, das Unrecht der DDR zu vergessen.Menschenverachtung im System
Wer in einem menschenverachtenden System, in einem Unrechtsstaat, sozialisiert wurde und das Unrecht nicht erkannt hat, weiß nicht, was „menschenverachtend“ bedeutet. Ich sage das bewusst als ehemalige DDR-Bürgerin, die dieses System von innen erlebt hat. Viele, die in der DDR geprägt wurden – bis hin zu Angela Merkel, die den Begriff „Unrechtsstaat“ für die DDR nie ausdrücklich verwendet hat – verdrängen diese Wahrheit.
Wer die Politik der DDR nicht als Unrecht empfand, hat die Dimension von Menschenverachtung nicht erfasst: von Jugendwerkhöfen, in denen junge Menschen, die anders dachten, als „schwer erziehbar“ gebrandmarkt und umerzogen wurden, bis hin zur Stasi, die Familien zerstörte und die Zersetzung perfektionierte. Schon im Kindergarten begann die politische Erziehung. In der Schulzeit waren Mitgliedschaften in den Jungen Pionieren, den Thälmann-Pionieren und der FDJ Pflicht. Jede dieser Organisationen sollte verhindern, dass sich Kinder frei entwickeln konnten.
Neue Formen der Indoktrination
Heute gibt es diese Organisationen nicht mehr. Doch neue Bewegungen wie „Fridays for Future" oder die „Letzte Generation" zeigen, dass auch die Jugend von heute wieder stark politisiert und in bestimmte Bahnen gedrängt wird. Es sind keine klassischen Pflichtorganisationen wie damals, dennoch wirken sie ähnlich: junge Menschen werden in ideologische Strukturen eingebunden, oft ohne es selbst zu bemerken.
Daneben existieren NGOs, die staatlich gefördert werden und gezielt Einfluss auf die Gesellschaft nehmen – etwa Gruppen wie „Omas gegen Rechts". Sie wirken im Erwachsenenbereich und tragen dazu bei, gesellschaftliche Debatten in eine bestimmte Richtung zu lenken und Andersdenkende auszugrenzen.
Digitale Kontrolle
Die Digitalisierung hat neue Möglichkeiten geschaffen, Menschen subtil zu kontrollieren: durch Kontensperrungen, durch Überwachung in sozialen Netzwerken oder durch das Anstacheln von Denunziantentum. Ein großer Teil der Gesellschaft empfindet diese Vorgänge als normal und schweigt (80 % – Pareto-Prinzip). Dieses Schweigen öffnet die Tür, um Freiheit schrittweise und perfide zu untergraben.
Corona-Politik als Spiegel der Vergangenheit
Meine Erfahrungen in der DDR haben mich besonders sensibel gemacht für jede Form staatlicher Einschränkung von Grundrechten. Deshalb habe ich die Corona-Politik in Deutschland als zutiefst problematisch empfunden. Viele Maßnahmen dieser Zeit waren aus meiner Sicht menschenverachtend: Alte Menschen in Heimen wurden von ihren Familien isoliert, Kinder vom Schulunterricht ausgeschlossen, Familien in den eigenen vier Wänden eingeschlossen. Es kam zu persönlichen Übergriffen, in manchen Fällen sogar zu Gewalt und Missbrauch. Diese Eingriffe haben tiefe Spuren hinterlassen – und doch wird heute kaum darüber gesprochen. Wieder herrscht Schweigen.
Kinder wurden in dieser Zeit ihrer Bildung beraubt. Abiturfeiern fielen aus, Schulabschlüsse konnten nicht gewürdigt werden. Jugendliche in der Pubertät verloren die Möglichkeit, sich im Sport oder in kulturellen Aktivitäten zu entfalten. Die Folgen sind bis heute sichtbar: Krankenkassen und psychologische Statistiken belegen einen deutlichen Anstieg psychischer Erkrankungen bei jungen Menschen.
Kritische Stimmen, die in einer Demokratie unverzichtbar sind, wurden während der Pandemie ausgegrenzt, diffamiert und diskreditiert – ob Wissenschaftler, Ärzte, Künstler oder Journalisten. Viele wurden mundtot gemacht, investigativer Journalismus entwickelte sich fast zu einer Freiheitsbewegung für Informationen. Selbst Bankkonten kritischer Medienschaffender wurden gesperrt. Heute ist bekannt, dass soziale Medien wie Twitter, Facebook oder YouTube auf Anweisung von Regierungen Beiträge und Konten löschten. Im Jahr 2025 ist dies inzwischen transparent, während es in den Jahren der Pandemie ein Tabu blieb.
Noch deutlicher als in der Digitalisierung zeigte sich während der Corona-Politik das Schweigen der Mehrheit. Eine kleine Minderheit stellte kritische Fragen, während ein großer Teil der Gesellschaft schwieg und die Maßnahmen widerspruchslos hinnahm (80 % – Pareto-Prinzip). Dieses Schweigen gab der Politik die Macht, Grundrechte einzuschränken, ohne auf breiten Widerstand zu stoßen.
Auch die sogenannten Enquete-Kommissionen, wie sie derzeit in Sachsen oder auf Bundesebene eingerichtet wurden, leisten aus meiner Sicht keine unabhängige Aufarbeitung. Sie sind eine Scheinaufarbeitung, die eher den Anschein von Untersuchung erweckt, als dass sie die Vorgänge ehrlich und tiefgehend aufarbeitet.
Gerade darin erkenne ich eine gefährliche Parallele: Auch in einem demokratischen System kann durch Angst, Kontrolle und Digitalisierung ein Klima entstehen, das totalitäre Züge trägt. Für mich als ehemalige DDR-Bürgerin war das ein Déjà-vu – ein Wiedererkennen von Mustern, die ich nie wieder erleben wollte.
Und so zeigt sich ein bekanntes Muster der deutschen Geschichte: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Entnazifizierung nie in der Tiefe der Gesellschaft geführt. In Ost wie in West blieb vieles unbearbeitet. Ebenso bleibt auch die Aufarbeitung der Corona-Zeit bislang aus. Es wird verdrängt, beschwiegen, in den Hintergrund gedrängt. Ohne ehrliche Auseinandersetzung bleiben Wunden offen – und das Schweigen macht anfällig für Wiederholungen.
Freude und Mahnung
Gerade deshalb ist der 3. Oktober für mich beides: ein Tag der Freude und der Dankbarkeit – und ein Tag der Mahnung. Freude, weil ich seit 1992 in Baden-Württemberg lebe und hier die Möglichkeit hatte, mich frei zu entwickeln, so wie ich es wollte. Dankbarkeit, weil das in der DDR unmöglich gewesen wäre. Mahnung, weil Freiheit niemals selbstverständlich ist. Sie muss jeden Tag neu erarbeitet, gelebt und verteidigt werden – damals wie heute.
Wenn Sie Fragen oder Anregungen haben, freue ich mich auf Ihre Zuschrift.
Herzlichst, Kathrin Woerner
Life & Business Coach, Unternehmerin · ehemalige Leistungssportlerin der DDR · Ehefrau & Mutter